Originalfassung des Lebenslaufes von Fritz Steisslinger - verfasst im Sommer 1978 vom ältesten Sohn des Künstlers Dr. Eberhard Steisslinger mit Erinnerungen der Witwe Frau Elisabeth Steisslinger und der Schwiegertochter Friedel:

"Geboren am 2.8.1891 in Göppingen, Württemberg, als Sohn des Metalldrückers Fritz Steisslinger und seiner Ehefrau Friederike Steisslinger, geb. Rau. Die Familie väterlicherseits stammt aus der Hedelfinger-Cannstatter Gegend, seine Vorfahren waren Handwerker und Weingärtner. Mütterlicherseits sind keine Berufe bekannt. Er war der Älteste von fünf Brüdern. Trotz der einfachen Verhältnisse waren alle geistig sehr regsam; es war bei ihnen üblich, daß sie unter den ersten ihrer Jahrgänge die Klasse anführten. Ein Bruder wurde später Bildhauer, ein anderer war Kaufmann und musikalisch sehr begabt. Der zweitjüngste war Schriftsetzer und sehr an Literatur und schöngeistigen Dingen interessiert. Ebenso hat er sich sozialen Fragen und der Politik gewidmet. Er ist 1930 nach Russland gegangen und seither dort verschollen. Der jüngste Bruder war Werkzeugmacher.

 

Nach der Volksschule macht F. St. eine Lehre als Metallgraveur bei der WMF und ist dort noch als Geselle und schon kunstgewerblicher Entwerfer tätig. Wahrend dieser Zeit bereitet er sich auf die Einjährige Prüfung vor, die er in Stuttgart am Eberhard-Ludwig-Gymnasium ablegte. Er hatte in dieser Zeit seinem Vater das Einverständnis zur Änderung seines Berufes abgerungen, der seine Zustimmung zum Zeichenlehrerstudium gab. F. St. drängte nach München und wollte freier Künstler werden. Schon in diesen Vorbereitungsjahren hat er viel gemalt und ist mit guten Arbeiten in München ab 1909 unter anderem Schüler von Stuck gewesen.

 

Während seiner Jünglingsjahre in Göppingen fand er bei dem CVJM die jahrelang wirkende Freundschaft mit Vikar Mössner, der später Leiter der Karlshöhe in Ludwigsburg, einer Anstalt für behinderte Kinder wurde. Noch jahrelang vor, während und nach dem 1. Weltkrieg bestand diese Freundschaft, wie sich aus Tagebucheintragungen immer wieder ergibt. Diese Bindung muß, so frei St. auch in seiner späteren geistigen Haltung geworden war, tief gewurzelt haben. Neben Mössner entstand damals eine freundschaftliche Beziehung zu der Familie Lange, Göppingen. Ein Freund Eugen Deiss, der noch in Tagebüchern des Krieges auftaucht, ist wohl gefallen. Zu Förderern in jener Zeit und bis in die italienischen Jahre gehören Namen wie Kommerzienrat Georg Böhringer, Göppingen, Bühler, Schuler, Kaufmann Ostertag und vor allem der väterliche und familiäre Beistand der Brüder im Rahmen des möglichen.

 

Es war für F. St. sicher nicht das Ziel Zeichenlehrer zu sein; auch war wohl Stuck nicht ganz das richtige für ihn, wie sich aus Tagebucheintragungen aus der Kriegszeit erschließen läßt. Seine Zeit dort war also von 1909 bis einschließlich 1910 abgelaufen. Von 1911 ab ging F. St. nach Venedig, später nach Rom und Florenz bis zum Kriegsbeginn. Er hat sich freiwillig als Kriegsteilnehmer gemeldet. Grundausbildung in Ulm zusammen mit seinem Bruder Paul, später dann als Artillerist in Russland und Frankreich mit mehreren Verwundungen. Dienstgrade bis zum Leutnant mit Auszeichnungen. Eine lebenslange Freundschaft entstand zu seinem Vorgesetzten Alfred Mayer, einem Stuttgarter Rechtsanwalt. Dieser emigrierte 1933 mit seiner Familie, die Frau Isolde war Pianistin, nach Argentinien.

 

Ober die italienische Zeit bestehen wenig schriftliche Nachweise, außer den späteren Erzählungen, Entwürfen und Bildern, sowie Fotografien dieser Zeit. St. muß diese Jahre sehr intensiv und fasziniert erlebt haben. Zu seinem Freundeskreis gehörte der Musiker Francesco Malipiero, dem ebenfalls die Schauspielerin Duse verbunden war. Die Faszination Italiens und des Südens hielt im Temperament und in der intellektuellen Wendigkeit wohl zeitlebens an. Seine erste Reise nach dem Krieg wohl noch 1919 führt ihn wieder nach Venedig; Tagebücher. Doch findet er dort seine Freunde nicht mehr.

 

Nach dem 1. Weltkrieg Heirat im März 1919 mit Elisabeth Haasis, die er etwa zehn Jahre vorher im Hause Lange in Göppingen erstmals kennenlernte und über alle Jahre und Prüfungen der Zeiten des ersten europäischen Umbruchs nicht mehr verlor. Auch war er als Schwiegersohn in einer erfolgreichen Kaufmannsfamilie nicht gerade der vielversprechend Richtige und damit Intrigen ausgesetzt. Auch hier tauchte dann wieder das Ansinnen auf, das Diplom als Zeichenlehrer zu erwerben, um die nötige Sicherheit zu bieten. Nach vier Jahren Krieg und Untergang und dem Willen zu sich selbst, wurde dies abgelehnt.

 

Von 1919 bis 1921 lebte die junge Familie in Seeburg bei Urach. Zuerst dort in der "Villa" und dann in der primitiven Landjägerwohnung inmitten des Dorfes unter ärmlichsten Verhältnissen. Die Familie Warburg, Gutsbesitzer in Seeburg und Besitzer des Schlößchens Uhenfels, bot dem armen Maler ein Atelier im Dachgeschoß an und war auch sonst menschlich hilfreich. Es entstand damals ein Porträt des Sohnes Sygmund Warburg, heutiger Besitzer des Bankhauses Warburg in London. Daneben intensive und fruchtbare leidenschaftliche künstlerische Tätigkeit. Mit dem benachbarten Steinmetzen Karl Graeter schuf er ein Kriegerdenkmal, eine kleine Anhöhe im Ort krönend. Geburt des ersten Sohnes Eberhard 1920 in der "Villa", Markung Wittlingen. 1921 Geburt des Sohnes Hans im Krankenhaus Urach; die Verhältnisse in der Landjägerwohnung waren zu einfach, Vorräte wie Kartoffeln und sonstiges mußten vor Frost unter den Betten bewahrt werden und auf dem Schüttstein bildete sich Glatteis.

 

In diesen Jahren und durch das ganze weitere Leben bestand eine tragende, freundschaftliche Beziehung mit seinem Schwager Eberhard Haasis, der ebenfalls als Kriegsfreiwilliger, ein geistig feinsinniger, menschlich empfindsamer und treuer Mensch war und sowohl in den ersten zwanziger Jahren, wie auch in seinem späteren Leben immer ein geistiger Begleiter seines Schwagers und seiner Schwester blieb.

 

In diesen Seeburger Jahren der Abgeschiedenheit entstanden die Pläne für das zukünftige Haus in Böblingen, als Akzent und Vorwurf für das künstlerische Selbstverständnis des Malers. Dieses Haus hat er völlig selbständig entworfen und in allen Details wie Lampen, Türen, Verkleidungen, Treppen, Gartentoren bis zur Anlage des Gartnes mit Brunnenfiguren durchgestaltet.

 

Der Mut zu der sich später schicksalshaft belastenden Dimension kam neben dem Impetus des Künstlers aus dem überbewerteten Impuls, mit der Heirat Besitzer einiger Devisen geworden zu sein, die in der Inflationszeit verlockend waren. Die Familie hat später dann ihren Teil mitzutragen gehabt.

 

Ab 1922 in Böblingen. Dort Geburt des Sohnes Werner 1923. Angehöriger der Stuttgarter Sezession und aktive Teilnahme und Tätigkeit im damaligen Stuttgarter Kunstleben. Teilnahme an allen Sessionsausstellungen, besonders im Kunsthaus Schaller. Besondere freundschaftliche Kontakte mit Kollegen soweit bekannt: Altherr, Reinhold Nägele, der öfters in Böblingen zu Besuch war, noch kurz vor seiner Emigration, Lörcher, Sohn, Schober, Schobinger, und andere. Frühe Beziehungen zu Hugo Borst. Außer einigen mit allem Elan gefeierter Künstlerfesten in seinem Hause war er eher auch in diesen Jahren schon ein Mensch, der trotz allem Zugriff immer wieder sich selbst ein Problem war.

 

Eine religiöse und sittliche Grundhaltung wurde später, wohl in kritischer Distanz, reflektiert, so daß er aus der Institution der Kirche austrat. Er hatte entschiedene moralische Grundhaltungen, die sich an der Kantschen Philosopie orientierten und ihn den kategorischen Imperativ auch als Maßstab für sich und die Erziehung seiner Kinder werten ließen, wenngleich er selbst natürlich künstlerische Freiheiten besaß.

 

Er war sehr belesen, ohne Ausnahme, und hat dies auch in den Situationen der Schützengräben neben seiner Malerei gepflegt. Er bevorzugte Schiller vor Goethe, wenngleich ihn Goethe wegen seines Umfangs stets faszinierte. Hebbel, C. F. Meyer, Strindberg, Tolstoi und Dostojewsky, eigentlich die gesamte ihm erreichbare Literatur. Der ständige Kontakt mit dem Stuttgarter Buchhändler Wittwer ist zu erwähnen. Neben den Zeiten der Abgeschiedenheit war er ein geselliger Mensch, bis zur Ausgelassenheit, sei es unter Intellektuellen oder Handwerkerstammtischen gewesen. Maßstab für seine Gesellschaft: Substanz und Originalität, trotz verschiedener Ansichten bei menschlich wertvoller Grundhaltung. So scheute er nie gewagte Diskussionen und war immer ein oft provozierender Gesprächspartner. Mancher Freund hat ihn im Dritten Reich dafür gedeckt.

 

Seine Ausgelassenheit konnte bis zur kindlichen Spielfreude gehen, aus der er sich dann allerdings tagelang wieder in seine Abgeschiedenheit im Atelier zurückziehen konnte, kaum unterbrochen von Mahlzeiten und familiären Kontakten. Er war empfindsam bis zur Empfindlichkeit. Er machte es sich und anderen schwer, oft in verzehrender und vielleicht selbstzerstörender Kritik, bei hohen Ansprüchen. Daneben bestand jedoch eine naive, oft lyrische Grundhaltung, aber verletzlich. Er war selbstbewußt, aber nicht immer selbstsicher. Schamhaft verzagt und leicht daraus in agressive Gegenwehr übergehend.

 

Was seine Familie anbetrifft, so war sie sein Lebensbereich und Stolz als seine Schöpfung. Er war allerdings auch Autorität und bestimmende Kraft. Die Malerei bestimmte den Tagesablauf aller, bis zum stundenlangen Modellstehn, ungerührt in Repräsentation und Gestik seiner malerischen Geschöpfe. Dadurch hat die Familie schon frühzeitig die Probleme des Kunstschaffens, wenigstens im Physischen wie auch im Materiell beschränken müssen erfahren. Das Verständnis wuchs höchstens durch das Vorbild und die Gewöhnung des Auges. Das Kunstverständnis, das daraus erwuchs, war zumindest problemnah motiviert. Der Maler selbst hat meist vermieden, lehrhaft kunsterzieherisch und bildend zu wirken. Nie hat er danach gestrebt, Nachfolge zu züchten. Epigonenhaftes hat er immer abgelehnt.

 

Er hatte ein untrügbares psychologisches Gespür für die Hintergründe des Daseins und der menschlichen Person, die dieses durchlebt. Auch die Landschaft war ihm häufig Ausdruck dafür. Der Mensch in der Welt war sein Problem. Aber auch - wie konnte er schwärmen von Boullabaisse, Wein und sonstigen Genüssen, wenn er für Augenblicke des Daseins befreit schien von allen Problemen, die das Leben gewollt oder ungewollt ihm auferlegte, oder die er sich selbst schuf.

 

Die Ambition mag seines Vaters familiärer Erbteil sein, die menschliche Weite und bewahrende Vielfalt ist sicher ein mütterliches Erbe. Die Musik war ein sein Leben begleitendes Element. Ohne ein Instrument zu spielen, konnte er mit Oberschwang vor dem Klavier Tonmalerei betreiben. Sein Lieblingskomponist war Beethoven. In späteren Jahren nach dem zweiten Weltkrieg in Brasilien hatte er Kontakt mit Gieseking und Backhaus, den er später noch in Lugano in seinem Haus besuchte.

 

Trotz seiner Verankerung in Böblingen trieb es ihn in den folgenden Jahren immer wieder zu Erkundungen — 1919 Venedig, 1924 und 1926 kurze Reisen nach Berlin, 1925 Venedig und Paddelbootreise mit seinem Schwager Eberhard Haasis bis Budapest sowie einige Wintertage im Engadin. 1925 begannen die Familienferien im Sommer am Bodensee mit Paddelboot und improvisierten Unterkünften im Zelt und bei den Bauern.

 

1928 eine Fahrt an den Rhein. Von 1929 bis 1931 übersiedelte die Familie ganz nach Berlin, wohin ihn das faszinierende Kulturleben der Großstadt mit all ihren Anregungen zog. Dort lernte er z. B. Flechtheim und Liebermann kennen. Die beschränkten räumlichen Verhältnisse einer Berliner Wohnung förderten dort Entwürfe, Grafik und Aquarellmalerei. Die Reize der Berliner Seen wurden auf Fahrrädern mit der ganzen Familie erkundet, wozu auch 1931 eine Familienrad- und Campingreise nach Schleswig Holstein und Groemitz kam. Die Sommer 1929 und 1930 führten nach Usedom, Ahlbeck und Hiddensee, Witte. Nach der Rückkehr nach Böblingen jeweils kurze Ferienreisen mit der Familie in die Berge Vorarlbergs. All diese Reisen sind durch Skizzenbücher und Aquarellblöcke belegt.

 

1934 erste Brasil-Reise mit Aufenthalten in Porto Alegre und den Südstaaten bis nach Rio de Janeiro. Dort Bekanntschaft mit Theodor Heuberger und der von ihm geleiteten "Pro-Arte" als kulturell und künstlerische Mitteler zwischen Europa/Deutschland und Brasilien. Ausstellungen in Sao Paulo und Rio. Erste und nicht mehr endende Faszination der tropischen Farbigkeit.

 

1936 Schweiz mit Genf, Savoyen, Elsaß und Vogesen, dann 1937 Elsaß und Paris. In jenen Jahren waren diese kleinen Reisen in die 'Nachbarschaft' schon eine "Flucht' aus dem sich schürzenden Verhängnis der folgenden Jahre. Er hat in seinen Tagebüchern und Briefen aus seiner Wertung und Einstellung diesen Verhältnissen gegenüber keinen Hehl gemacht und sie frühzeitig richtig erkannt. Der Versuch, den vorhergesehenen Ereignissen, an die man trotz aller Klarsicht nie recht glauben konnte, bis es zu spät war, durch eine Übersiedlung nach Brasilien zu entkommen, scheiterte an diesem Dilemma und der Tatsache der in den Schulabschluß tretenden Söhne und wurde vom Kriegsausbruch überholt. Dieser zog allmählich die gesamte männliche Familie in seine Fänge. F. St. selbst war wieder, zuerst in Frankreich und dann in Rußland, als Hauptmann und Führer einer Transportkompagnie. Tagebücher und Skizzen berichten über jene Zeit und ihre unerbittlichen Verschlingungen. Kam auch das haus auf dem Tannenberg relativ glimpflich davon, war am Kriegsende die Familie durch den Verlust der zwei jüngsten Söhne tief getroffen. Es war ein menschlicher und künstlerischer Tiefpunkt, wie überall.

 

Die Berufung zur Akademie durch den damaligen Kultusminister Theodor Heuss war der erste Auftrieb als Wiederbestätigung; sie wurde mit großem Elan aufgenommen. In diese Zeit fiel auch die Wiedergründung der Stuttgarter Sezession, deren erster Vorsitzender F. St. war. Er legte jedoch diesen wegen der aufkommenden Intrigen im Gefolge der sogenannten Entnazifizierung nieder, da er nicht dulden wollte, daß diese der künstlerischen Qualität wesensfremde Daseinsbewältigung ein bestimmender Maßstab für die Aufnahme oder Nichtaufnahme von Mitgliedern sein sollte. Belegung durch Briefe und Aufzeichnungen.

 

Ende 1947 erfolgte die erste und damals unwiderstehlich lockende Wiederausreise nach Brasilien, mit kurzer Unterbrechung der Lehrtätigkeit. Der Gedanke, von draußen her materielle und auch geistige Impulse dem deutschen Kunstschaffen geben zu können, war verlockend, aber im bürokratischen Ablauf einer Behörde und der noch herrschenden Abhängigkeit von relativ willkürlich schaltenden Besatzungsbehörden, schwer möglich.

 

So folgte Ende 1948 der Austritt aus dem Lehrkörper und zeitweilige Übersiedlung nach Brasilien. Von Seiten seiner Kollegen hat besonders der damalige Rektor Prof. Brachert seiner Situation Verständnis entgegengebracht, wobei die menschlichen und künstlerisch warmen Beziehungen zu Prof. Sohn, Prof. Rössing, Prof. Yelin und anderen nicht unerwähnt seien.

 

Von da ab bis 1951 hat F. St. versucht, sich in Brasilien eine neue Verwurzlung zu schaffen. Er erwarb ein kleines Haus mit Garten im Gebirge in Teresopolis bei Rio de Janeiro und gestaltete diesen Fleck Eigentum wieder mit der Phantasie und Anteilnahme des Malers.

 

Es begann eine manchmal beinahe furiose Zeit des "Neuanfangs', der in mancher Hinsicht Jahrzehnte der Vergangenheit übersprang. Trotzdem ließen ihr aber seine älteren Anfänge und Wurzeln nicht los, und er kehrte, bis auf einige Reisen, zurück in sein noch von den Kriegsschäden arg zerzaustes Anwesen und Atelier. Er war in diesen Jahren von der Vorstellung beflügelt, daß jetzt 'seine beste Zeit', die Zeit der Synthese erst käme. Während der Jahre in Brasilien nach dem Kriege knüpfte er wiederum neue Kontakte zu Heuberger und "Pro-Arte" und war für einen Sommer lang Lehrer bei einem Ferienkurs in Teresopolis, welcher sich allen schönen Künsten, einschließlich Musik und Malerei, verpflichtet fühlte. Diese Veranstaltung ist seither ein jährliches Ereignis in Teresopolis.

 

Dabei lernte er auch Dr. Erich Fausel, einen Philologen und kulturverständigen Schwaben und Lehrer an der Evangelischen Akademie in Sao Leopoldo, Spiegelberg, bei Porto Alegre, kennen. Die gegenseitige Schätzung wäre zu einem freundschaftlichen Band auch zu seinem Sohn Eberhard Steisslinger geworden, wenn der plötzliche Tod dieses sympathischen Schwaben dies nicht verhindert hätte.

 

Während der Brasil-Jahre machten F. St. und seine Frau noch eine längere Reise nach Uruguay und Argentinien. Dort Besuch des alten Freundes Alfred Mayer, der dort seit 1933 ansässig war. Danach Chile und Peru.

 

Im Böblinger Haus hat er bis in die letzten Tage gearbeitet und noch trotz körperlicher Unpässlichkeit, ärztlichen Rat missachtet, Bilder zum Rahmen gebracht, obwohl er sich, damals noch ein tolerierbares Delikt, nicht mehr ganz sicher fahrtüchtig fühlen konnte. Er bekam in der Nacht einen Schlaganfall, wurde auf der Bahre aus seinem Haus getragen, klar bei Bewußtsein, die Strecke bis in die Klinik in Tübingen in etwa abschätzend und kommentierte "nun habe ich eben einige Bilder weniger gemalt".

 

Der Blick auf das Tübinger Schloß im Abendläuten von der alten Neurologischen Klinik war der Abschluß dieses Lebens, 16.3.1957.

 

1956 war F. St. das letzte Mal in Brasilien. Sein erster Enkel Hans Werner war geboren und er hatte ihn mit viel Stolz und Zukunftshoffnungen auf dem Arm getragen. Die damalige politische Krise der Besetzung Budapests störte auch diese Muße und drängte zur übereilten Rückreise, um zu retten, ja was ist überhaupt im Leben zu retten!?"


Dieser lebendige Bericht aus dem Munde derer, die mit ihm lebten, vergegenwärtigt uns die Persönlichkeit eines unruhigen, unabhängigen Künstlers, der sich ständig auf dem Alleingang der Suche nach Neuland und Weiterentwicklung seiner Kunst bewegt.

 

Unsere Ausstellung zeigt aus der Fülle seines in Böblingen verwahrten Lebenswerkes ausgewählte Werkgruppen der Hauptschaffensphasen:

 

1920-1926 Seeburg und Böblingen: Landschaft, Portrait und Figurenkomposition in Ölbildern, Aquarelle und Zeichnungen

1929-1931 Berlin: Portrait, Akt, Landschaft in Ölbildern, Zeichnungen ,Druckgraphiken ‚Aquarelle und Deckfarben

1934 1. Brasilienreise: Landschaften und Portraits in Deckfarben

1947-56 Brasilien: Landschaften in Aquarell und Deckfarben

 

Die erste eigenständige künstlerische Etappe liegt in den Jahren nach dem 1. Weltkrieg ab 1919 bis in die Mitte der 20er Jahre. Nach der zerstörerischen Zeit des Krieges beginnt der Maler, wie um Fuß zu fassen, mit zwei architektonischen Werken. An seinem Zufluchtsort Seeburg auf der Alb, in der Nähe von Urach, baut er zusammen mit dem Steinmetz Graeter ein Kriegerdenkmal.

 

Für seine junge Familie entwirft er ein Haus in Böblingen, das in den Jahren 1921-22 errichtet wird.

In Seeburg entsteht ein Gehäuse aus Tuffstein auf fünfeckigem Grundriß um eine Stele mit den.Namen der 

Gefallenen; in Böblingen  ein würfelförmiger Bau aus gelbem Sandstein. Charakteristisches  Schmuckelement beider Bauten ist die flache Dreiecksgiebelform der Dach-, Fenster-,Tür- und Balkonabschlüsse. Ebenso werden sämtliche Details im Innern des Hauses von der Täfelung bis zu den Beschlägen, die Gartenanlage mit Toren, Gittern und eigenen Brunnenplastiken im Sinne eines Gesamtkunstwerks von F.St. gestaltet. Nicht unbeeinflußt vom Erlebnis italienischer Renaissancepaläste, staufischen Mauerwerks und der Formensprache des geometrischen Jugendstils seiner Jünglingsjahre.

 

Die hügeligen, weichen Formen der Alb, die herben‚ dramatischen Stimmungen der Herbst-und Winterabende fordern den Maler zu explosivem Schaffen. Unzählige Aquarelle auf verschiedensten Papierabfallstücken, Ölskizzen auf Karten in glühender, expressionistisch rot-gelb-grüner und blauer Farbigkeit entstehen in rascher Folge. Seine Frau und die Kinder sind ihm Modell für zahllose Figurenkompositionen mit in der Landschaft geborgenen Menschen. Themen wie "Die drei Grazien", "Kassandra", "Der hl. Hieronymus", "Hiob und seine Freunde" kennzeichnen das Anliegen des Künstlers, sein Werk in unserer abendländischen Kultur zu begründen, sie zu befragen und zu durchdringen, hierin Max Beckmann wahlverwandt.

 

Um die Mitte der 20er Jahre tritt in Malerei wie Zeichnung ein Wandel zum weit ausholenden, großzügigen Duktus ein. F.St. übersiedelt 1929 mit Frau und drei Söhnen nach Berlin. Hier gelangt er zu einem ersten Höhepunkt. Die Hektik der Großstadt kommt seinem Temperament entgegen.Belebte Straßenzüge und Großstadttypen, der Gesellschaft wie der Halbwelt,begeistern ihn . Er zeichnet Max Liebermann und den Kunsthändler Alfred Flechtheim. Seine oft drastisch gesehenen mit derbem Strich zupackenden Portraits, Aktdarstellungen und Berliner Szenen wirken nicht sozialkritisch oder aggressiv wie bei Grosz oder Dix, vielmehr tendieren sie zum Sarkastischen und Karikierenden.

 

Auch in den zahlreichen Selbstbildnissen in Malerei, Zeichnung und Druckgraphik tritt dieser Zug in den Vordergrund. 1929 entsteht das im 2.Weltkrieg zerstörte, großformatige Gemälde der "Frauen im Gras", gleichsam eine Paraphrase der "Demoiselles aux Bords de la Seine" von Courbet.

 

Nach den Berliner Jahren der endgültigen Befreiung von allen Stilzwängen. F. St. löst sich vom Expressionismus, bleibt fern von Kubismus und Bauhaus, von Surrealismus, Realismus und neuer Sachlichkeit, entwickelt seine Palette zur farbenreichsten der 30erJahre in Deutschland. Spontane Vehemenz und Leidenschaft leiten den Malvorgang. Mit Borstenpinsel, Pinselstil und Fingern wird die Farbe aufgestrichen, aufgetupft, gepresst und ineinandergewühlt. Zurückgekehrt aus Berlin greift er auf vielen Fahrten in die Umgebung , an den Bodensee und ins Elsaß die heimatliche Landschaft zu jeder Jahreszeit auf.

 

Die erste Reise nach Brasilien 1934 führt zum äußersten Höhepunkt. Tropische Üppigkeit, die ungeheure Intensität einer nie geahnten Farbenfülle spornen den Maler zu übersprudelnder Aktivität an. Viele Zeichenblöcke gefüllt mit Deckfarbenmalereien der Landschaften und Orte um Rio de Janeiro und im Süden des Landes geben ein heute, durch die wirtschaftliche Entwicklung Brasiliens, verschwundenes Panorama. Die Farbenvielfalt, ihre Schärfe und Härte, die gnadenlose Helligkeit des Lichtes, der pittoreske Zauber südländischer Lebens und Treibens lassen den Maler nicht mehr los. Er zeichnet kaum mehr. Weite Plätze und Landschaftszüge,auf kleinem Format eingefangen,werden mit spitzem Pinsel filigranhaft fein bevölkert mit Esel, Karren und quirligen Einwohnern.

 

Je näher der 2. Weltkrieg rückt, je deutlicher sich der Künstler des kommenden Unheils bewußt wird, desto schwerblütiger und verschlossener werden seine Bilder in der Farbsubstanz wie im Thematischen: Stilleben und Karnevalsszenen.

 

Die Lehrtätigkeit an der Stuttgarter Kunstakademie, 1946 von Theodor Heuss zum Professor berufen, ist von kurzer Dauer, da sich F. St. wieder in Brasilien aufhalten können will. Die brasilianische Landschaft und sein kleiner tropischer Garten um sein Haus in Teresopolis werden ihm zum Freilichtatelier. Im Unterschied zu den Blättern der Reise von 1934 tritt nun in reiner Aquarelltechnik die Abbildlichkeit immer weiter zurück. Die kaleidoskopartige Veränderung des Atmosphärischen der Tropen, nuancendurchwebte Farbstimmungen in sensibelsten Verschiebungen werden zum Inhalt seiner Blätter.

 

Ein Satz aus einem Nachkriegstagebuch schlägt die Brücke vom Seeburger Frühwerk zu seiner Landschaftskunst der späten Jahre: "Vor Einbruch der Dämmerung verändert ja oft ein letztes Farbspiel die Welt. So wird es am Ende des Lebens sein."